Was wäre die Rock-Szene ohne die alten Männer? Alice Cooper, Ozzy Osbourne, Roger Waters, alle Stones zusammen? „70 ist das neue 20“ könnte man denken. Dass wahrhaftig etwas dran ist an dieser These hat jetzt Pink-Floyd-Opa David Gilmour monumental unter Beweis gestellt.

Der nette, friedhofsblonde Herr, der „zivil“ meist im legerem Anzug mit weißem Sonnenhut auf dem zur Kahlheit tendierenden Haupt zu sehen ist, tritt auf die Bühne wie eigentlich schon immer. Eine bequeme, etwas ältere Jeans, darüber ein langes T-Shirt, unter dem sich sanft ein Brauerei-Geschwür wölbt.

Zurück zum „Tatort“

Die lange, weit über die Schulter hängende Mähne von früher fehlt, doch die blitzenden, angriffslustigen Augen, die spitzbübischer Ausdruck reiner Spielfreude sind, erkennt man unter den weißen Augenbrauen sofort wieder. Habe ich gerade „Bühne“ geschrieben? Man möge mich auf das Rad flechten, wenn das kein fataler Irrtum war!

So wie der Täter im Krimi kehrte auch Gilmour an den „Tatort“ zurück, an dem er anno 1971 als Mitglied der britischen Band Pink Floyd Spuren hinterlassen hatte. Nicht ganz so große und furchtbare wie der Vesuv, der vor gut 2000 Jahren die kleine Stadt Pompeij „versteinerte“, aber immer noch legendär und unvergessen.

Grandioses Comeback

Pink Floyd At Pompeij“ – was war das für ein Konzertfilm! Kreiert von Adrian Maben, einzigartig und experimentell wie die Musik, die sich damals in den Gehörgängen Konservativer nur schwer einordnen ließ, nicht selten als „extraterristrisch“ bezeichnet und nicht nur deshalb von der rebellischen Jugend im Gegenzug vergöttert wurde.

Am 7. und 8. Juli 2016 empfing das im Licht der untergehenden Sonne an die Vergänglichkeit gemahnende Amphitheater nach 45 Jahren Abstand „David Gilmour At Pompeij“ – was für eine Show! Im Rund der altrömischen Spielstätte, wo von neunzig Jahren vor Christus bis zum Vesuv-Ausbruch 79 Jahre später Gladiatoren, Verurteilte, Verfolgte und unzählbar viele Tiere unter unsagbaren Schmerzen ihr Leben ließen, jubelte ein „volles Haus“ dem Imperator der Neuzeit frenetisch zu.

Die Fender, nicht das Schwert

Er kam nicht mit dem Schwert, sondern mit seiner abgeschrubbten alten Fender und machte sich ohne großes Tamtam daran, einen Parcours von 21 Titeln aus seinen Solo-Alben „Rattle That Lock“ und „On An Island“ plus unvergängliche Pink Floyd-Songs zu bewältigen.

Nicht „einfach so“ mit jeder Menge guten Musikern, sondern verpackt als ein grandioses Spectaculum, das unter der Regie von Gavin Elder in 4K gefilmt wurde. Die Qualität ist außerordentlich gut – nur in wirklich seltenen dunklen Szenen wirkt das Bild eine Spur zu „körnig“.

Darum die Sonnenbrillen

Aufsteigender Bühnennebel sorgt des weiteren manchmal für Eintrübungen, sobald sämtliche Scheinwerfer-Batterien für ein Lichtgewitter grandiosen Ausmaßes eingesetzt werden versteht man, warum plötzlich alle Akteure Sonnenbrillen aufgesetzt haben.

Auf der noch aus Pink Floyd Zeiten bekannten „runden Leinwand“ mit den vielen, in sämtliche Richtungen feuernden Varylights im Hintergrund untermalen legendäre Video-Clips unvergessliche Titel. Laser weben streng geometrische, farbenfrohe Muster in den Nachthimmel und bei einer besonders gewaltigen Interpretation von „Run Like Hell“ unterstützen pyrotechnische Effekte die Soundkulisse.

Eine magische Kulisse

Die in wechselnde Farbtöne getauchten leeren und zum großen Teil von Gras überwucherten Tribünen der Arena verwandeln sich in eine magische Kulisse. Und der Sound? Einwandfrei! Enorm druckvoll, dynamisch und stark, gleichzeitig bestens in PCM Stereo und 5.1-DTS konserviert.

Obwohl bei der Sichtung der Blu-rays (96/24 PCM Stereo & 96/24 DTS MAA) „nur“ ein 9-Kanal-Receiver zur Verfügung stand, bildete ich mir oft ein, „immersive“ Effekte vernommen zu haben (was natürlich aufgrund fehlender Dolby-Atmos-Spur nicht sein konnte und somit eventuell der häufig dokumentierten Sturheit älterer Menschen geschuldet war).

Ein pfiffiger Chef

Ganz klar rockte David Gilmour die Show und lieferte Soli, die selbst mit allen Wassern gewaschenen „Rockern“ zu Gänsehaut und Tagträumen verhalfen. Bevor ihm – was nachvollziehbar scheint – beim Singen von hohen Tönen die Stimme „wegbröckelt“, hat er in seiner „Allstar-Band“ Vorkehrungen getroffen.

Bryan Chambers im Chor mit den beiden liebreizenden Damen Louise Clare Marshall und Lucita Jules mauern als Background-Sänger stets ein festes Fundament und dürfen sich öfters über „Szenenapplaus“ freuen. Chester Kamen spielt die zweite Gitarre, am Bass und Contrabass macht Guy Pratt eine gute Figur.

Besser geht´s nicht

Der ewig grinsende blonde Jüngling am Schlagzeug heißt Steve DiStanislao, Keyboard spielen Chuck Leavell und Greg Phillinganes. Die genannten Herren profilieren sich gleichzeitig als begnadete Solo-Sänger. Einzigartige Saxophon-Soli liefert Bryan Chambers mit enorm viel Herzblut. Fazit: Einem alten Pink-Floyd-Fan bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als sich die „Deluxe“-Box zu gönnen.

Zwei Blu-rays, zwei CDs, Hardcoverbook und Fotobooklet, Pompeij-Fremdenführer, vier Postkarten und ein Poster. Exclusiv außerdem zusätzliche Live-Schnipsel aus Südamerika und Wroclaw, Tourdokumentationen sowie eine 72-minütige BBC Dokumentation mit dem Titel „David Gilmour: Wider Horizons“. Mein Urteil: absoluter Anspruch auf den Titel „Ultra-HDTV-Champion“ und eine dringende Kaufempfehlung.

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