Draußen tobt der Fasching und ich befinde mich mitten in einer tiefen Sinnkrise. Wieder mal typisch für mich. Schuld an meinem gebückten, schlurfenden Gang und meinen Merkel-Mundwinkeln ist zu viel Wissen. Echt wahr. Je mehr du weißt, desto schneller wirst du bekloppt!
Meine Frau macht sich ernsthafte Sorgen um mich, seitdem ich sie vor drei Tagen fragte, ob es besser wäre, ein Klon im koreanischen Neo-Seoul des Jahres 2144 zu sein oder doch lieber ein simpler, auch geistig einfach gestrickter Ziegenhirt anno 2321? Ihr Rat: „Geh ins Bett und schlaf dich mal richtig aus! Du liest zuviel und hockst zu oft vor der Kiste“.
Seit „Prometheus“ und „Cloud Atlas“ weiß ich Bescheid!
Jetzt liege ich im Bett und sinniere. Denn, oh Freunde, ich weiß Bescheid! Ich kann Euch ganz genau sagen, wie das weiter geht mit 4K und 8K und hoch-, höher- und höchstauflösend. Und Ihr könnt es ganz leicht nachvollziehen, wenn Ihr euch die Filme „Prometheus“ und „Cloud Atlas“ auf einen Merkzettel schreibt und später ankuckt.
Der unwissende Teil der Menschheit, zu dem ich jetzt mal alle Leute rechne, die NICHT diesen Artikel lesen, glaubt ja, dass das Fernsehen beziehungsweise das Heimkino der Zukunft aus immer größeren Flatscreens, aus hochleistungsfähigen Beamern und ähnlichem Tand besteht. Dies, oh meine Eingeweihten, ist aber Quatsch!
Die Folie als Grundstein für totale Illusion
Wer von Euch schon mal ein Bild von diesem neuen LG-OLED-TV gesehen hat, dessen Mattscheibe in Wirklichkeit eine Art Folie ist, die man einfach an die Wand tackert (oder so), wandelt geistig auf dem richtigen Pfad. Denn sowohl 2144 in Korea als auch in Raumschiffen der „Prometheus“-Ära ist TV praktisch überall.
Fenster sind keine Fenster mehr, sondern Displays, die Licht durchlassen (und dadurch zu Fenstern werden) oder aber kein Licht durchlassen und Szenen nach Wahl generieren, die echt aussehen, aber Fake sind. Bei „Prometheus“ drückt eine Wissenschaftlerin auf einen Fernbedienungsknopf und – zack – wähnt man sich in einer kuscheligen Hütte im tief verschneiten Hochgebirge, in dem vergnügt der Jägermeister-Hirsch röhrt.
Gewusel oder blühende Landschaften
Ist Madame nach Sommer, Sonne, Meer zumute, aktiviert sie nochmals ihr Zauberdisplay und – schwupps – brandet ein Bilderbuch-Ozean an die Haustür. Eine Episode aus „Cloud Atlas“ spielt im zukünftigen Korea: aus dem Panorama-Fenster eines gigantischen Wolkenkratzers blickt man auf eine völlig neu gebaute Stadt der Zukunft in der ganz unten autoartige Dinger mit Rädern sausen und in zig „Etagen“ darüber phantasievolle Fluggeräte durch die Luft zirpen.
Geht einem das Gewusel ordentlich auf den Keks, wischt man über ein kleines Kästlein und wähnt sich augenblicklich in einem romantischen Garten mit Blumen, Blumen und nochmals Blumen. Was uns zur Frage führt: möchten Sie das?
Mit mir nicht – ich werde Ziegenhirt!
Sehen Sie – mir ging es genauso. Wenn man intensiv hin und her überlegt, wird man hibbelig, kichert den ganzen Tag und fängt an, Gartenzwerge zu sammeln! Ist es erstrebenswert, dass einem fortwährend eine heile Welt vorgegaukelt wird und dass man nach kürzerer oder längerer Zeit selber nicht mehr weiß, was wahr und was Illusion ist? Wird eines Tages vielleicht von der Regierung bestimmt, welche Wetter- und Landschafts-Szenarien der Hausmeister, pardon: der Facility Manager, einspeist?
„Mit mir nicht!“, fauchte ich mit wild funkelnden Augen meine Frau an, die furchtbar erschrak, da ich zuvor tagelang geschwiegen hatte – ich musste ja schließlich gründlich überlegen. Als ich meinem Weib nicht mehr die Zähne fletschte, sondern sie zärtlich in den Arm nahm und ihr mitteilte, dass ich beabsichtige, ein naheliegendes Job-Center aufzusuchen, um auf Ziegenhirt umzuschulen, begann sie haltlos zu schluchzen.
Eines Tages jedoch wird sie mir dankbar sein und es als kluge Entscheidung bezeichnen, dass ich wie mein Film-Vorbild Zachry das einfache Leben, den archaischen Broterwerb in frischer Luft und freier Natur wählte, in dem es kein High-Tech-TV, keine Hochhäuser oder Klons sondern nur Wald, Wiesen, Wasser, Ziegen und allerlei anderes Geziefer und Ungeziefer gibt.
Wie in „Cloud Atlas“ werden wir ein ruhiges, beschauliches und erfülltes Leben führen – und mit den paar Kannibalen, die durch unser Revier huschen, werden wir schon fertig. Denen stelle ich einfach so einen winzigen atomgetriebenen Beamer der Zukunft vor ihre Höhle, der in einer Endlosschleife Filme von äußerst gefährlichen Raubtieren abspielt und schon ist Ruhe in Karton.
So. Jetzt geht es mir schon wieder viel besser! Morgen ist Aschermittwoch, das hebt die Laune zusätzlich, denn dem Stamm der Bajuwaren sind Karnevalsbräuche ein Graus. Da wird einem doch nur eine völlig falsche Welt vorgegaukelt, nicht wahr?
Was ist das?
Ein Text zum Lesen.
Lieber Udo,
Dein Aufsatz ist einfach köstlich!
Herzlichst
Georg
Lieber Herr Udo,
Sie haben einen wunderbaren unterhaltsamen Artikel geschrieben. Weiter so.
Besten Dank.