Um es gleich vorweg zu nehmen: wir sind fertig! „Der Moped-Club „The Lost Boys“ hat sein gutes altes Vereinsheim um ein sagenhaftes Heimkino erweitert“. Dies musste beinahe in goldenen Lettern in unser Verzeichnis eingetragen werden. Da waren wir eitel, ich gebe es zu. Jedes Mal, wenn auch nur Fragmente dieses Satzes, welche die Wörter „sagenhaft“ und „Heimkino“ beinhalten, von irgend jemandem irgendwo anlässlich von irgendwas gesprochen werden, kullern dicke Tränen der Rührung über die Wangen der heldenhaften Ausführenden, die da Günni, Leo, Giovanni, Erich, Manni, Schorsch und Udo heißen.
Natürlich waren wir nicht ganz allein am Werkeln. Ein paar andere Jungs halfen, so es ihre Zeit erlaubte, ebenfalls mit und unsere besseren Hälften, die im Club nur „Mädels“ genannt werden, sorgten in aufopfernder Art und Weise dafür, dass wir erstens nicht im von uns selbst verursachten Chaos erstickten und zweitens bei Kräften blieben, was die Versorgung mit fester Nahrung anbelangte. Als Vorsitzender schwör ich: wir sind jetzt ein ganz anderer Verein!
Wir sind jetzt ein ganz anderer Verein!
Die Zeiten finanzieller Krisen und körperlicher Anspannung und gewisse Phasen, in denen unsere Nerven zu reißen drohten, haben uns zusammengeschweißt. Wir sind alle aus dem selben Holz geschnitzt und ergänzen uns hervorragend. Was der eine nicht weiß, weiß der andere auch nicht – das verbindet ungemein.
Erich, ein Visionär von einem Schreiner, zeigte uns mit den drei Fingern seiner rechten Hand erneut einen Weg auf, den wir selbst nicht erkannt hätten. Es begab sich zu jener Zeit, dass er im bereits fix und fertig möblierten und mit einer prunkvollen Leinwand ausgestatteten Vorführraum stand, die Linke an die Stirn legte und dann mit erhobener Stimme sprach: „da muss ein Schrank hin“.
„Da“ war quasi ein kleiner Bereich neben der linken Ultima-40 von Teufel und „hin“ sollte dort die geballte Technik für den Ton.
Es gibt keine Suzuki-Receiver!
Wir hatten lange gegrübelt, welche Art von AV-Receiver es denn sein sollte. Manni hatte immer nur „Yamaha, Yamaha, Yamaha“ gebrabbelt, da er sich selbst „schon immer“ ausschließlich Motorräder aus dieser Manufaktur unter den Hintern klemmt und davon überzeugt ist, dass jemand, der „sowas“ bauen kann, auch „sowas“ hinkriegt (an dieser Stelle wedelte er immer mit dem entsprechenden Prospekt).
Es kam, wie es kommen musste. Schorsch, der in Sachen Mopeds auf Suzuki abfährt, forderte sein Recht auf den Kauf eines Suzuki-Verstärkers ein und glaubt noch immer nicht ganz, dass wir ihm die Wahrheit sagen, wenn wir behaupten, dass es solche Geräte nicht gibt. Erstens, weil ich Neutralität für eine solide Basis halte und zweitens, weil die Preise für Yamaha-Receiver doch recht gepfeffert sind, schlug ich Pioneer vor. So kam es, dass wir einen Onkyo TX-RZ810 7.2-Kanal-AV-Netzwerk-Receiver erstanden, der wirklich alles hat, was wir – speziell für unser Kino – brauchen.
„Plattenspieler-Anschluss“ muss sein
Groß und schwer, analoge Endstufen, massiver Trafo für langes Durchhaltevermögen, 180 Watt Power pro Kanal, Ein- und Ausgänge im Überfluss und einen „Plattenspieler-Anschluss“, sonst hätte Leo durchgedreht. Schon seit Jahren droht er damit, mal alle seine LPs mitzubringen, damit wir gefälligst „vernünftige“ Musik hören. Hätte jetzt ein Phono-Eingang gefehlt, wäre das aus seiner Sicht reine Absicht, pure Schikane gewesen.
Absolut logisch, dass er seinen wie einen Schatz gehüteten, legendären Technics anschleppte, für den Schreiner Erich einen Ehrenplatz im Schrank zimmern musste. Dann das Thema Blu-ray Player. Normal oder Ultra-HD? „Wenn schon, denn schon“, sprachen die Brüder und jetzt warten wir bloß noch bis Ende Februar, wenn der Sony UPD-X800 für 399 Euro endlich in den Handel kommt. Ein echter „Allesfresser“ in robustem Gehäuse und mit ziemlich kompletter Ausstattung. Bis er geliefert wird, helfe ich mit meinem etwas betagten, aber wirklich fabelhaften Sony BDP-S6500 aus.
Fast ein richtiger 4K-Beamer
Beim Beamer einigten wir uns auf den Epson EH-TW9300. Ein 3D Full HD High-End Projektor mit 4K-Enhancement Technologie und HDR. 2500 Lumen Lichtleistung, Kontrast 1:1.000.000, Zwischenbildberechnung für ruckelfreies Filmvergnügen zum Schnäppchenpreis von 3299 Euro.
Nachdem alles mit wirklich guten HDMI-Kabeln verbunden und an das Stromnetz angeschlossen war, herrschte eher Kindergarten als Moped-Club-Stimmung und wir wollten natürlich sofort starten. „Nix da“! Tönte ein weiblicher Chor. Zwar nicht „Zähne putzen, pullern und ab ins Bett“ (grandioser Song von Knorkator), aber mindestens mal Pause bis zum Abend, ordentlich duschen und brav was essen, bevor wieder – angeblich zu hastig – getrunken wird. Niemals hätten wir für möglich gehalten, dass unser alter Leo ausflippt.
„Fast jeder“ kennt Surround Sound…
Dass er irgendwie nicht ganz kapierte, warum vorne UND HINTEN Lautsprecher stehen mussten, hatten wir gemerkt, aber nichts gesagt. Surround-Sound kennt doch heute wirklich jeder, oder? Nun ja: fast jeder. Leo nicht. Fatal an der Geschichte ist, dass unser Kumpel gewisse Wissens-Defizite nie und nimmer zugibt.
Also spazierte er in unsere heilige Halle, nahm ganz selbstverständlich vorne in der ersten Reihe Platz, kuschelte sich tief ins Kunstleder und stellte seine mitgebrachte Bierflasche auf der hohen Wölbung seines Bauches ab.
„Spute er sich, mein Bier wird kalt“
Wenn kein blöder Spruch gekommen wäre, wäre es nicht unser Leo gewesen. Zu mir gewandt, aber allen anderen verschwörerisch zublinzelnd, stellte er in ungewohnt geschliffenem Deutsch die Frage: „Nun, Herr Lichtspieldirektor, was gedenken Sie uns vor Augen zu führen?“
„Hast du dir doch selbst gewünscht: Dracula!“
„Wie recht du hast – ich vergaß“, blödelte er weiter. „Aber achte Er mir darauf, dass Er die Fassung von Francis Ford Coppola verwendet. Allein schon wegen der putzigen Hauptdarstellerin Wynona Ryder und der außergewöhnlich fantastischen Kameraführung von Michael Ballhaus! Spute er sich, mein Bier wird kalt“.
Ausjelassene Stimmung und Schenkelklopfen – ich schieb die Blu-ray in den Schacht, Erwin hat das Licht aus und die LED-Fußleisten eingeschaltet. Gary Oldman erscheint als Feldherr Vlad in lederner Rüstung auf der Leinwand und bereits im Vorspann geht mächtig die Post ab. Leo juxt herum wie bekloppt.
Giovanni fürchtet sich nicht ganz allein
„Jetz pass auf, jetz machste dir gleich inne Hose“ kreischt er und stupst unseren gottesfürchtigen Giovanni, der recht zusammengekauert in der Garnitur hängt, dauernd mit spitzem Finger in die Rippen. Im Film erfährt der gefürchtete „Pfähler“ soeben, dass sich seine Geliebte Elisabetha nach einer von den Türken gestreuten Falsch-Information in den Fluss gestürzt hat und entsagt Gott.
„Oh Dio mio“, winselt Giovanni, als plötzlich Blut aus dem Altar und von den Kerzen tropft. Dracula tobt – dann auf einmal der erste Dolby-Effekt von rechts hinten. Jetzt ist es Leo, der Geräusche von sich gibt.
„Uaaaah! Du Blödmann“!
Es klatscht. Manni flucht. „Aua, du Depp, du damischer. Spinnst du etz ganz“?
Der Hechtsprung zum Lichtschalter
Erwin ist längst zum Lichtschalter gehechtet, um die Situation zu entschärfen. Manni hält sich die Backe und bewegt sich nicht mehr. Untrügliches Zeichen dafür, dass er gleich explodiert. Und das will an diesem großen, ehrenvollen Tag niemand.
„Der hat geraschelt oder geklappert oder so. Grade beim Film. Mit Absicht. Damit ich `n Schreck krieg. Das darf der nicht, nä?“
Schorsch trabt ab und holt für Manni ein Beruhigungs-Bier. Das Licht bleibt länger an, weil wir uns dazu verpflichtet fühlen, Leo das Prinzip des Raumklanges schonend beizubiegen. Er bockt. Weiß natürlich sowieso, wie das funktioniert. Will das aber wegen „schlechter Erlebnisse in der Kindheit“ nicht haben. Kann es nicht leiden, wenn etwas hinter ihm passiert. In diesem Moment halte ich es für eher unklug, dass unser Onkyo-Receiver auch für Dolby Atmos und DTS:X gerüstet ist.
Noch nicht bereit für immersive Tonformate
Nicht auszudenken, wie Leo abgeht, wenn er den Eindruck hat, dass irgendwas auf ihn oder neben ihn fällt. Manchmal ist es klüger, sich bis zum Tag X in Schweigen zu hüllen. Erwin und ich reden mit Engelszungen auf den Trotzkopf ein, da kann Günni, Leos erklärter Lieblingsfeind, die Klappe mal wieder nicht halten.
„Ey, du Holzkopp! Dem alles ham wir doch wegen dich gemacht hier! Ganze Möbel und so. Dat du nich dauern vonne Klappstuhl kippst, du ollen Hirni“!
Wenn Blicke töten könnten, hätten wir uns an dieser Stelle kollektiv von Günni verabschiedet. Ganz kurz blitzt in Leos Augen Angriffslust auf, dann sind plötzlich Anzeichen von Resignation zu erkennen, er breitet sich extra lässig auf seinem Sitz aus und verschränkt die Arme vor der Brust.
The Return of the Klappstuhl
Wir interpretieren das als Friedensangebot. Dracula wütet weiter. Irgendwann in einer Gebetspause bemerkt Giovanni, dass ihn Leo nicht mehr anstupst. Beamer aus, Licht an: wo isser denn? Ganz hinten an der Wand, noch hinter den Surround-Boxen, entdecken wir unseren hitzigen Ausreißer. Auf seinem uralten Klappstuhl hockend und begeistert grinsend.
„Super Film, nä? Hat Giovanni, der Angsthase, das erste Paar Windeln schon gewechselt?“
Manchmal möchte ich gar nicht Vorstand von einem Moped-Club sein.