„Ach wie schön war Weihnachten doch damals, als wir noch nicht alles hatten, was wir jetzt nicht brauchen“! So oder ähnlich starten der eine Opa oder die andere Oma die Ouvertüre zu einer faden Geschichte zu Beginn einer wahrhaft stillen Nacht. Endlose Monologe, weise Ratschläge am laufenden Band.
Man bäumt sich innerlich kurz auf, resigniert, verdreht die Augen, verliert den Kampf gegen den Gähnreiz und pennt bald still und starr vor sich hin. „Schön war´s, Kinder, bis zum nächsten Jahr – wir geh´n jetzt auf eine U-100-Party“. Womit bewiesen wäre, dass die fidelen Senioren weder dement, noch verkalkt und schon gleich gar nicht altmodisch sind.
Die schonungslose Wahrheit
Denn wie dieser Text bald in aller Schonungslosigkeit aufzeigen wird, ist die so genannte Internet-Generation stark darauf erpicht, alles Erzählte – das Vermächtnis von Generationen – so perfekt wie möglich nachzuahmen. Elektronisch natürlich. Denn sonst wäre es ja mit physischer Arbeit verbunden und daher uncool.
Mein knallhartes Fazit vorweg: Flunkern tun nicht die Großeltern, sondern ihre hypermodernen Nachkommen. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: zusammen mit dem Vater, der vom Glühwein bereits eine lustige rote Nase hatte, stapfte ich von unserer bescheidenen Bretterhütte im Auenland aus durch meterhoch verschneiten tiefen Tann.
Es weihnachtete eben sehr…
Auf den glitzernden Tannenspitzen sah ich keinerlei Lichter blitzen. Meister Reineke, der Fuchs, Meister Lampe, der Hase, das Reh und die Wildschwein-Rotte kuschelten sich merkwürdigerweise eng aneinander, als ob sie vom bösen Wort „Fressfeind“ nie etwas gehört hätten. Gemeinsam warteten sie auf Isegrimm, den ausnahmsweise nicht bösen Wolf. Es weihnachtete eben sehr…
Endlich erblickten Papa und ich in einer kleinen Schonung ein hervorragend gewachsenes Bäumchen, das insofern ein ganz Besonderes war, als es von geizigen Waldbesitzern noch nicht mit reichlich Gülle übersprüht worden war.
Die vorprogrammierte Katastrophe
Hätten Vater und Sohn nicht über mindestens ein geschultes Auge und (noch) eisfreie Nasen verfügt, wäre die Vorfreude auf einen gemütlichen Weihnachtsabend im Kreise der Familie bereits in jenem Stadium geplatzt wie eine Seifenblase im klirrend kalten Wind von Mordor. Die Katastrophe wäre vorprogrammiert gewesen.
Denn liebe Leute, lasst euch sagen: wenn ein solchermaßen hundsgemein präparierter Christbaum in der guten Stube auftaut, weicht der Duft von Zimt, Mandarinen und Mandelstern in Windeseile dem Gestank aus Tausend-und-einem-Kuh- oder Schweinestall! Selbst Ochs und Esel aus der Krippe würden spezifisch laut lamentierend das Weite suchen.
Die Erfindung des Fortschritts
Um ein Haar entkamen wir sozusagen einer fürchterlichen Bescherung. Mamas Gekreische wie die Posaunen von Jericho in den Gehörgängen – Licht aus und nix wie raus hier. Alle Jahre wieder! Sch… Weihnachten. Pardon! Aber die Zeiten waren damals, wie gesagt, sehr hart. Zum Glück wurde der Fortschritt erfunden!
Wie gut haben wir es doch im Jahre des Herrn 2017, wenn wir in einem mit allen Raffinessen gepimpten Smart Home residieren dürfen! Man macht sich als ältlicher Mensch ja kein Bild davon, wie wunderbar, fantasievoll und sicher das Fest der Feste in diesen Tagen sein kann. Und bleibt lieber skeptisch.
Umwerfende Verbesserungen
Erst, als mir ein bezaubernder Pressetext eines der innovatisten Unternehmen im Bereich der Hausautomation per Mail auf den Schreibtisch flatterte, erlangte ich Kenntnis davon, dass selbst in Bezug auf die würdevolle Gestaltung der Feier von Christi Geburt umwerfende Verbesserungsvorschläge das Zeug haben, alles zu revolutionieren.
„Eine festliche Beleuchtung stimmt in der Vorweihnachtszeit auf die kommenden Festtage ein, sorgt in den eigenen vier Wänden für eine angenehme Atmosphäre und gibt dem Weihnachtsfest den gewünschten, angemessenen Rahmen“, verkündet der Hausautomations-Heini. Das hätte ich auch selber gerade noch gewusst.
Brandneue Kombinationen
Eher befremdlich wirkt es auf mich, die weihnachtliche Szenerie im Smart Home unter Kombination der Faktoren Beleuchtung, Musikanlage, TV-Gerät, Herd und Heizung sozusagen auf ein völlig anderes Level zu hieven. „Weihnachtsbaumschmuck mit elektrischen Kerzen, Lichterketten oder Weihnachtsdekorationen – draußen wie drinnen – gehören zu den Accessoires der Grundausstattung“. Auch nix Neues.
Aber jetzt: Es sei nicht mehr von Nöten, kilometerlange Leitungen zu verlegen, Lichterketten in luftiger Höhe an den Dachfirst zu tackern oder ein nadelndes, viel zu großes Bäumchen in den Wohnraum zu schleifen, um es sodann aufwändig mit Kugeln, Lametta, wirklich brennenden Kerzen und anderem Tamtam quasi in eine tickende Zeitbombe zu verwandeln. Das, so erfahren wir, macht man heute ganz anders.
Plastik oder Hologramm?
Der Baum soll lieber aus natürlichem Kunststoff bestehen und bereits opulent dekoriert aus der Verpackung hüpfen. „Man“ müsse ihn nur noch zusammenstecken und elektrisch befeuern – schon werde dem Christkind auf charmante Weise die Landeerlaubnis signalisiert.
In absehbarer Zeit, da bin ich mir fast sicher, wird einer der Enkel des treuen Droiden R2D2 aus „Star Wars“ ganz selbstverständlich zum Haushalt gehören und wunderbar geschmückte Tannenbäume als bezaubernde Hologramme in die Bude beamen. Dann brauchen wir das Plastik-Dings auch nicht mehr. Hosianna!
Die Sache mit den Lichtszenen
Zurück in die futuristisch anmutende Gegenwart: Damit sich der zu erwartende Himmelsbote bei uns pudelwohl fühlt, wird beispielsweise über eine zentrale Bedien- und Steuereinheit die zur Stimmung passende, individuelle Lichtszene kreiert. Raum für Raum, an speziellen Plätzen oder im gesamten Haus. Vollautomatisch natürlich.
Risiken und Nebenwirkungen? Gleich null. Höchstens, der Herr des Hauses macht sich gerade auf den beschwerlich langen Weg vom Sofa zum Kühlschrank, um seine Biervorräte upzudaten, just in diesem Moment wird es vor dem Treppenabsatz himmlisch zappenduster und der quirlige Enkel hat mal wieder seine ganzen Modellautos und Legosteine liegen lassen!
Weniger ist manchmal mehr
Höllische Flüche des Hausherrn, der sich diverse Teile eingetreten hat, könnten die Folge sein, wenn die Grundbeleuchtung in den Fluren extrem gedimmt oder eine indirekte Beleuchtung eingeschaltet wird, um die Wirkung der Weihnachtsbeleuchtung in den einzelnen Räumen dezent zu unterstreichen. Weniger ist manchmal mehr.
Begleitet vom becircend-nervtötenden Klang dieser ewigen Glockenbimmel-Musik, die man rund um Weihnachten nicht mehr los wird und die uns – „dank“ toller Multiroom-Musik-Netzwerke – auf Schritt und Tritt durch jeden Raum bis aufs Klo verfolgt und drangsaliert. „HEOS, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“. Der olle Goethe war seiner Zeit weit voraus.
Die gleißende Pracht vor der Dunkelheit
Verlassen wir die singende, klingende Hütte und wenden uns der modernen Außendekoration zu, die – logo – über eine Zeitsteuerung geregelt wird, sodass sie erst bei Dunkelheit ihre Pracht voll entfaltet. Toll, wenn man bei seiner feierlichen Heimkehr vom Einkaufstrubel, beladen mit Päckchen und Paketen, von gleißend-hellem Lichterglanz geblendet wird, oder?
Falls der ganze Zauber sich nicht gerade dann vollautomatisch verabschiedet, wenn man unmittelbar vor der Haustüre angelangt ist, keine Hand mehr frei hat und einen ruckzuck stockfinstere Dunkelheit umgibt. Man kennt das doch: pardauz, tatü-tata, Friedhof. Deshalb: nicht knausern und den Timer immer großzügig programmieren, gell?
Wohlige Feuersbrünste
„Ein Kaminfeuer steht für wohlige Wärme und eine angenehme Atmosphäre“. Auch das ist nicht unbekannt. Dass man für wohlige Feuersbrünste heutzutage weder einen Kamin, noch offenes, entsetzlich gefährliche Flammen braucht, dürfte den wenigsten Lesern unbekannt sein.
„Kaminfeuer“, verkünden die Weihnachts-Nerds, „gibt es doch auf Blu-ray und DVD. Oder es lässt sich einfach via Smart-TV streamen“. Ach so! Aber so richtig kuschelig warm wird es dann höchstens bei einem Kurzschluss des Fernsehers, oder?
Flammendes Inferno
Pfiffige Smart Home-Profis kommen nicht umhin, mir in diesem Punkt mürrisch zuzustimmen, packen sodann aber die Keule aus und stoßen mich unsanft mit der Nase darauf, dass man schließlich individuelle „Kaminzimmer“-Szenarien erstellen kann.
Mit dem Aufflackern des virtuellen Feuers spielt die Musikanlage zum Beispiel eine Playlist ab. Titel wie „Fire“ von James Brown, „The Fire Inside“ von Bob Seger oder „Burning Down The House“ drängen sich förmlich auf. Die Temperatur wird wie von Geisterhand auf ein Wohlfühlniveau hochgeschraubt – und jetzt kommt´s: „damit man sich wie an einem offenen Feuer fühlt“.
Funkenflug und beißender Rauch
Ich glaub, es hackt! Wer jemals an einem winterlichen Lagerfeuer kauerte wird nie und nimmer auch nur rudimentäre Ähnlichkeiten bestätigen können. Wo bleibt der Rauch, der in den Augen beißt? Der Funkenflug, der die Augenbrauen versengt? Das Gesicht ist ob der beinahe unerträglichen Hitze schnell halb durchgegart, das Gegenteil (Sie wissen schon) bleibt tiefgefroren. OLED oder LED-Kaminfeuer! Dass ich nicht lache!
Doch was so ein echter Smart-Home-Spezialist ist, der lässt sich nicht aus dem Konzept bringen und säuselt wonnig weiter: „Auch in anderen Räumen als dem „Kaminzimmer“ können sich die Smart Home-Bewohner an dem Widerschein flackernden Lichts erfreuen.
LEDs und Klopapier
LED-Lampen in Haus oder Wohnung, kreativ gehüllt in Transparentpapier mit weihnachtlichen Motiven, lassen sich angeblich so steuern, dass sie ebenfalls zu flackern beginnen, wenn die Glotze indirekt brennt. So weit kommt´s noch!
Dass meine lieben tollpatschigen Kindlein und Enkelkindlein an den schweineteuren Beleuchtungskörpern herum friemeln, die ich im Schweiße meines Angesichts montiert habe und vielleicht der Einfachkeit halber recyclebares Klo- statt teures Transparentpapier verwenden, weil ihnen das in der Waldorf-Schule irgend so ein „Weihnachtsmann“ eigetrichtert hat!
Elektrische Düfte
Welcher Vollpfosten schreibt so eine Anleitung? Man müsste ihn stehenden Fußes zu zwei Wochen Karzer ohne Videofeuer und nur mit virtueller Nahrung verurteilen. „Um das Kaminzimmer-Feeling abzurunden“, fabuliert Hein Blöd nämlich weiter, „können elektrische Aroma- oder Duftlampen dergestalt geregelt werden, dass sie ihren Duft verbreiten, sobald das Feuer im Kamin brennt“.
Ich weiß gar nicht, ob Sie´s wussten, aber Smart Home-Anwendungen helfen angeblich sogar, unangenehme Gerüche zu vermeiden. Beispielsweise eine vergessene angeschaltete Herdplatte, auf der der Weihnachtspunsch kocht.
Wenn der Punsch kocht…
Ein pfiffiger Herd könne über eine entsprechende Smart Home-Funktion dermaßen raffiniert programmiert werden, dass er sich ab einer gewissen Temperatur oder beim Verlassen des Hauses, wenn die Familie zu einem winterlichen Spaziergang aufbricht, automatisch abschaltet.
Wer, zum Teufel, kommt auf die beknackte Idee, durch die Gegend zu latschen, wenn der Weihnachtspunsch kocht und wieso verlässt der Herd dann auch das Haus? Langsam wird es mir zu bunt: „Im Smart Home kann der Backofen so geregelt werden, dass nichts verbrennt und die Bewohner per Smartphone über das Ende der Backzeit benachrichtigt werden“.
Plätzchen im Fegefeuer
Toll! Man sitzt gemütlich beieinander und lästert einfühlsam über andere Menschen, auf einmal bimmeln alle Handys und sämtliche Familienmitglieder rennen kreischend in die Küche, um Plätzchen vor dem Fegefeuer zu retten.
„Wenn Menschen zusammensitzen, in der Küche gebrutzelt wird und Duftlampen brennen, kann die Qualität der Raumluft auch einmal zu wünschen übrig lassen. Mit einer Smart Home-Lösung für das Raumklima tun Nutzer etwas gegen die dicke Luft. Eine einfache und effektive Lösung sind Raumluftsensoren. Signalisieren diese eine schlechte Luftqualität, können die Fenster geöffnet werden“.
Endlich sagt´s mal einer!
Dass das endlich mal jemand rausgekriegt hat! Ich bin zutiefst gerührt und beeindruckt. Wie oft hockten wir tagelang ohne Unterbrechung beieinander und wurden immer grantiger und muffiger, ohne die Ursache des Problems zu erkennen: dicke, verbrauchte, miefende, stickige, sauerstofffreie Luft!
Keiner kam auf die Idee, ein Fenster zu öffnen, wirklich wahr. Gepriesen seien die blitzgescheiten Smart-Homler, die an solch nützliches technisches Wunderwerk dachten, welches uns automatisch aufrüttelt wenn es stinkt, als sei der Christbaum mit Gülle präpariert worden.
Zurück in die Steinzeit
Smart-Home Weihnachten? Nicht mit mir, Leute! Ich tendiere eher zu einem Schritt zurück in die Steinzeit. Urige, in Pech getränkte Fackeln erleuchten den steinigen Weg vom Gartentürchen zur rustikalen Haustür aus knorrigem Treibholz.
In Feuerkörben prasselt an strategisch vernünftigen Punkten die lodernde Glut, um eventuell wartende Gäste aus fernen Landen bzw. der Nachbarschaft auf Betriebs-Temperatur zu halten. Ein Eimer voll Punsch steht auf dem Grill und brät vor sich hin, damit erste Schmerz- und Befindens-Linderungen nach langer Anreise oder gar Wanderung möglich werden.
Alles wird anders
Der Meister (also ich) wird den waschechten Christbaum im qualifizierten Fachhandel käuflich erwerben. Egal, wie teuer der Preis kostet. Weib und Kinder werden ihn (also den Baum) wie anno dazumal adventlich verunstalten. Wichtig: Glühwein erst gar nicht zum Kochen kommen lassen, sondern vorher trinken und keinesfalls nur virtuelle Geschenke mailen.
Die eherne Regel für Plätzchen lautet: Butterteig bleibt länger frisch, wenn man ihn später bäckt! Merkt euch das, ihr smarten Softies, bevor euch der Ofen per Handy über eine erfolgreich einsetzende Verrußung informiert.
Kälte gegen Schlaf
Kurz bevor die traute Runde in Morpheus Arme sinkt das Fenster öffnen, zähneklappernd zehn Minuten Kälteeinbruch aushalten, dann gemütlich weiter feiern oder lieber doch ins Bett gehen. Nach dem Karpfen, den es heute beinahe gegeben hätte, wenn das mit dem Ertränken in der Badewanne geklappt hätte, wird morgen die Zubereitung der fetten noch lebenden Bio-Weihnachtsgans folgen, die ich meuchlings aus dem ersten Stock werfen wird, um sie noch töter zu töten.
Weihnachten ist das Fest der Liebe, des erhöhten Cholesterinspiegels und des Dauer-Sodbrennens. Es findet voraussichtlich auch in fernster Zukunft nur ein Mal im Jahr statt – smart und virtuell oder „wie im richtigen Leben“. In diesem Sinne: schöne Feiertage!