„Freunde, Römer, Landsleute!“ Als Vorsitzender des Moped-Clubs „The Lost Boys“ wollte ich dem letzten Teil meiner Ansprache anlässlich der Weihnachtsfeier 2016 einen besonders festlichen, ja historischen Anstrich verpassen. Die Gesichter der Kameraden, die mir gespannt lauschten und aufmerksam waren wie Kinder beim Kasperl-Theater, nahmen in der Mehrzahl die Form von Fragezeichen an.

Ich ließ mich nicht verunsichern. „Wie oft?“ – so richtete ich das Wort an die Versammlung – „haben wir uns über diese Bude, die wir Vereinsheim nennen, schon geärgert?“ Zustimmendes Gebrummel. „Ich stehe hier zwar vor einem ordentlich dimensionierten Ultra-HD-Fernseher mit zwei Metern Bildschirmdiagonale, aber was passiert dauernd, wenn wir zum Beispiel Fußball gucken?“

Günni prustete los, hob den Finger wie ein artiger Schüler, wartete dann aber doch nicht ab, bis ich ihm das Wort erteilte, sondern stotterte mit hochrotem Kopf „dann kippt der Leo, der Döskopp, dauernd vom Stuhl“. Der anschließende Lachanfall, kombiniert mit Raucherhusten und gruseligem Röcheln, sorgte für Heiterkeit und Beifallsbekundungen im Rund.

Vereinsheim soll zum Freudenhaus werden

Leo war der Einzige, der ernst blieb. Was leicht fällt, wenn man stinksauer ist. „Ey du Luftpumpe! Dir stoß ich gleich aus der Kommunionsanzug, du Heini. Was kann ich denn für die Gelumpe von hier? Dem ganze Möbel ist doch Sondermüll und das klapprige Stuhl hocke ich mir bloß hin, weil du dem nicht hinkriegst mit die Hämmorrhoiden vom fetten Hintern“. Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass Leo, wenn er aufgeregt ist, Probleme mit dem Satzbau hat. Und aufgeregt ist er eigentlich immer.

Schauen wir gemeinsam Fußball, zappelt er pausenlos auf besagtem Gartenstuhl herum und jedes Mal, wenn er sich freut, die Arme in die Luft reckt und sich nach hinten lehnt, kippt er um. Ich war aufgrund des unvorhersehbaren Intermezzos gezwungen, meine Rede abzukürzen, denn eigentlich hatten wir den Kernpunkt schon erreicht. Dennoch bemühte ich mich um prunkvolle Worte.

„Genau das, oh Brüder, ist das Ei des Damokles, das an einem dünnen Faden über unseren Häuptern baumelt! Wir müssen (ich sah mich demonstrativ um) diesen Augias-Stall ausmisten wie dereinst Hercules! Lasset uns aufstoßen und ins Horn brechen! Verwandeln wir diese trostlose Bethlehem-Stallung eigenhändig in ein multifunktionales Heimkino, in ein wahres Haus der Freude! Machen wir aus diesem, unserem Vereinsheim ein Freudenhaus!

„Lasst uns anschaffen gehen“

Leo kippte wieder vom Stuhl, Beifall brandete auf, Standing Ovations, Hände, die ich schütteln sollte, reckten sich mir entgegen. Ich kann nicht behaupten, dass ich die Situation nicht auskostete – bis unser Giovanni, die alte Spaßbremse aus Bella Italia, eine saublöde Frage in den Raum brüllte: „Wer solle bezahle diese alles, hä? Haben wir nix – wie sagt man – Geldseisser“. „Geldscheißer“ korrigierte ich, brauchte aber nicht mehr brüllen, da inzwischen Grabesstille herrschte.

In so einer Situation muss man als Chef einer Bande wilder, ruppiger Gesellen, aus der sich unser Moped-Club rekrutiert, Klartext liefern, sonst ist man ruckzuck unten durch. Es galt, dicke Bretter zu bohren – und damit war ich beim Thema: „Jungs, hört zu! Wir sind kein Mädchen-Pensionat, sondern ein Rudel von Alpha-Männchen, das Probleme löst, bevor sie entstehen“.

Anerkennendes Knurren. „Wir haben talentierte Handwerker (Erich, der Schreiner, reckte spontan die drei Finger seiner rechten Hand in die Luft), geniale Universalgenies und echte Macher in unseren Reihen – alles, was uns fehlt ist ein bisschen, ähm, Geld. Lasst es uns anschaffen gehen.“

Eine klare Ansage und ihre Auswirkungen

Gejohle, Gekreische, hysterisches Herumgehüpfe – kindische Bande! Da drückt man sich einmal missverständlich aus und schon ist alle Ernsthaftigkeit beim Teufel. Mit „anschaffen“ hatte ich selbstverständlich nicht das gedacht, was Sie jetzt vielleicht auch denken, sondern mannhaftes Vorgehen nach Art großer Kämpfer und Krieger, die Geschichte schrieben.

Also trat ich vor mein Eheweib und sprach: „Schatzi? Neulich bei der Versammlung vom Moped-Club haben alle gesagt, dass sie das ganz große Zimmer, in dem wir immer Fußball gucken, zu einem ganz tollen Heimkino umbauen wollen und dass wir alles selber machen, weil es dann ja viel billiger ist und dass alle ihr Sparschwein schlachten müssen, damit wir uns Geräte und Möbel und so Zeugs anschaffen können und dass wir das im Prinzip ja für unsere Frauen und Kinder tun und dass…“

„Spinnst du? Ihr habt doch nun wirklich schon alles! Die schöne Bar, den großen Kühlschrank, die gemütliche Lounge mit den ausgesuchten Sitzgelegenheiten, den RIESIGEN Fernseher – also da kann man doch wirklich nicht meckern! Denk lieber mal daran, wie alt unsere Waschmaschine schon ist und dass die Buben neue Fahrräder brauchen und…“

Die „Lost Boys“ wollen sich emanzipieren

RUUUHÄÄÄÄ! Elende Schlange, die du mit gespaltener Zunge die Unwahrheit zischt! Gemütliche Lounge? Ausgesuchte Sitzgelegenheiten? Du und Deinesgleichen haben sämtlichen Sperrmüll im Headquarter der „Lost Boys“ abgeladen! Gestandene Männer sind nach endlosen Touren bei Wind und Wetter im schmalen Sattel ihrer Mopeds gezwungen, auf kindischen, üppig geblümten Barbie-Möbeln oder ultraharten Klappstühlen zu rasten und an eiskalten Getränken zu nippen, derweil sich das WEIBSVOLK auf Samt und Seide räkelt und kaffeetrinkend von einer Freundin zur anderen pilgert.

Wir fordern nicht weniger als die totale Emanziation! Siehe: ich nehme alles Geld aus der Kaffee-Tasse in der Küche und ziehe zu meinen Brüdern, um mildtätig zu wirken. Wenn du erkannt hast, wie unrecht du mir getan hast, magst du kommen, dich entschuldigen und ich werde dir vielleicht vergeben. Bis dahin: Adjeu!“

Nix wie weg. Rauf auf den Bock, Vollgas – mal schauen was die Kollegen vollbracht haben. Der Anblick, der sich mir beim Betreten des „Headquarters“ bot, war ernüchternd. Im Eingangsbereich gegenüber der Bar stapelten sich Koffer, Taschen und Schlafsäcke. Der Kühlschrank war leer gesoffen, aus dem „großen Zimmer“, unserem zukünftigen Heimkino, drangen Klagelaute und vereinzeltes Schluchzen.

Wir werden bauen – bauen Sie mit!

Erich war in einen Kopfverband gewickelt, Manni humpelte, Schorsch trug den Arm in der Schlinge. Als man mich erblickte, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. „Na, Männer? Alles fit im Schritt?“ Zaghaftes Gekicher, spärliche Gesten der Zustimmung. Alle hatten tapfer ihre Schlachten an der Heimatfront geschlagen, in deren Verlauf mehr oder weniger Bargeld erbeutet und waren lädiert, aber nicht besiegt, zurück gekommen.

„Das sind meine Jungs!“, stammelte ich ergriffen. „Jetzt müssen wir nur noch loslegen und Überzeugungsarbeit leisten, dann kehren unsere Frauen zurück und bereuen bitter, was sie uns angetan haben“. Der Applaus war infolge von viel Verbandsmaterial gedämpft, aber ehrlich gemeint.

Ich werde Sie, liebe Leser, auf dem Laufenden halten. Sollte der eine oder andere von Ihnen Lust verspüren, zuhause – sozusagen parallel mit uns – ein Heimkino mitzubauen, so sei er herzlich willkommen und der passiven Unterstützung durch den Moped-Club „The Lost Boys“ versichert. Bis demnächst!

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